Fastenzeit 2022 – Palmsonntag

Vielleicht haben Sie sich gefragt, warum wir uns in der Fastenzeit mit den Sinnen beschäftigen. Jetzt kommt die Auflösung:

Der Palmsonntag eröffnet die Karwoche. Die spricht alle Sinne an: wir sehen den Einzug Jesu in Jerusalem. Wir hören den Jubel der Menge, das „Hosianna“. Wir riechen den Duft von Frühling, vielleicht auch den Weihrauch in der Kirche. Wir schmecken das Abendmahl am Gründonnerstag. Was spüren wir, was fühlen wir, wenn wir am Karfreitag den Schrecken der Passion hören und den gefolterten Jesus sehen?

Foto: Michael Tress

Der ganze Mensch mit all seinen Sinnen ist angesprochen, um das Wirken Gottes und der Menschen zu erfassen, zu ergreifen, zu begreifen.

Wie sieht das in unserem Alltag aus? Welche Sinneserfahrungen bietet der? Welche Gotteserfahrungen hält der Alltag bereit? Wie entdecken wir Gott im Schönen – aber auch im Schrecklichen des Krieges (jüngst bei den wüsten Gräuel in Butscha) oder der Krankheit, der Verwundbarkeit und der Versehrheit menschlichen Lebens? Das fällt mir schwer, am ehesten noch in der Hilfsbereitschaft und Kreativität der Menschen.

Vielleicht bleibt in all dem auch Raum für die Unbegreiflichkeit Gottes, für die Unverfügbarkeit, für das Rätselhafte. Darin spüren wir, dass Gott größer und mehr ist als wir es uns vorstellen, dass er anders ist. Dass Gott anders ist als unsere Vorstellungen. Dass Gott anders ist als unsere Wünsche. Dass Gott auch immer anders ist als unsere Erfahrungen. In einem Gespräch mit einer Freundin haben wir uns darüber unterhalten, dass die Vorstellung vom liebenden Vatergott nicht vereinbar ist mit den Erfahrungen des Ukrainekrieges. Solcher Zwiespalt hält uns im besten Fall auf dem Weg der Frage und Suche – nämlich dann, wenn wir uns nicht zufriedengeben mit den wunderbaren, schönen, idyllischen Gottesbildern. Wenn wir nicht alles wegschieben aus unserem Glauben und unserem Leben, das mit einem „lieben Gott“ nicht kompatibel ist. Wenn wir berührbar bleiben durch das Quere, das Durchkreuzende, das Anstoßerregende.

Der Weg durch die Karwoche ist ein harter Weg, anstrengend, mühevoll, irritierend, verletzlich. Aber nur, wer diesen Weg geht und sich darauf einlässt, kommt zur Erfahrung von Ostern.

P.S. „Anders“ ist die ursprüngliche Bedeutung des hebräischen Wortes „qadosch“, das wir für gewöhnlich mit „heilig“ übersetzen.

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