Wie fühlst du dich heute? Das ist die Frage nach dem Befinden – vor allem bei einer Erkrankung. Vor allem wir Männer neigen dazu, bloß „gut“ oder „schlecht“ zu sagen. Wenn wir nach unseren Gefühlen gefragt werden, tun wir (Männer) uns genauso hart. In meiner Fachklinik Annabrunn habe ich manchmal die Erfahrung gemacht, dass bei der Frage nach den Gefühlen Antworten aus dem Verstand kamen. Wenn ich aber nach dem gefragt habe, was die Männer gerade spüren – dann kamen Gefühle. So, als ob es langsam von oben nach unten rutscht.
Was spüren Sie gerade? Die Sitzfläche des Stuhles, den Boden unter Ihren Füßen, die Wärme des Raumes, die Verspannungen in der Schulter, den leeren Magen …
Was fühlen Sie gerade? Vielleicht die Entspannung und die Wohligkeit einer Tasse Tee. Oder die Anspannung mit dem Blick auf das, was zu tun ansteht. Oder den Ärger über einen Konflikt. Oder die Freude über eine schöne Begegnung. …
Wenn wir die Augen zumachen und uns „blind“ von einem anderen fühlen lassen, spüren wir deutlicher den Boden unter den Füßen, den Wind, die Hand dessen, dem wir uns anvertrauen bei diesem „Spiel“. Wir spüren die Umsicht und die Aufmerksamkeit und fühlen uns in guten Händen.
Der Tastsinn verfügt über das größte Organ unseres Körpers – die Haut. Und dennoch ist es oft vernachlässigt. Hautpflege ist wichtig, vor allem im Alter, wenn die Haut austrocknet und spröde wird. Über die Haut versuchen wir uns auch, „ansehnlich“ zu machen mit Cremes, Make-up etc. Fühlen/ Spüren hat also immer auch eine eminent wichtige soziale Funktion.
Es gibt ein Kunstwerk von Joseph Beuys mit dem Titel: „Berühre die Wunden“. Wenn wir verletzte Menschen sehen (ob in der Ukraine oder bei uns), geht uns das in der Regel nahe. Wenn wir die wunde Stelle eines anderen sehen oder gar berühren dürfen, ist das ein unglaublich intimer, vertrauensvoller Moment in einer äußerst persönlichen Beziehung.
Das Fühlen ist der letzte Sinn, der erlischt. Sterbende spüren und fühlen, wenn jemand da ist und wie dieser Mensch da ist. Das lässt uns sorgsam umgehen mit Sterbenden. Ähnlich ist es aber auch mit denen, die voll im Leben stehen. Sie spüren und fühlen, was vom Gegenüber ausgeht: Sympathie, Interesse, Zugewandtheit. Oder das Kreisen in sich selbst, das vom anderen trennt.
Von Jesus werden viele körperliche Berührungen erzählt. Er war für die Menschen seiner Zeit zu spüren: körperlich und geistlich. Körperlich etwa bei den Heilungen durch Handauflegungen oder Kuss oder auch nur durch die Berührung seines Gewands. Geistlich hat er die Menschen angerührt durch seine Gleichnisse, seine Rede vom liebenden Vatergott, durch seine Präsenz. Was bei den Menschen damals und heute vielleicht das stärkste Gefühl auslöst, ist seine Folter und sein Tod am Kreuz. Es sind seine Wunden, die uns anrühren. Denn in ihnen zeigt sich, dass Gottes Präsenz nicht nur dem Vollkommenen gilt, sondern gerade dem Gebrochenen, Zerbrochenen, Fragilen. Uns.