Dritte Fastenwoche
Heute kommt ein bekannter Text: Jes 58. Er stammt aus dem dritten Teil des Buches Jesaja, dem sog. Tritojesaja. Seine Wirkungszeit liegt nach dem Babylonischen Exil und der Heimkehr der Juden in ihre ursprüngliche Heimat. Aber es liegt alles in Trümmern – vergleichbar mit dem Gazastreifen oder der Ukraine. Alles muss neu aufgebaut werden: die Häuser, die Infrastruktur und auch der Tempel. Aber – was nicht vergessen werden darf: auch der innere Aufbau der Gesellschaft muss erfolgen. Aus dieser Motivation heraus entsteht z. B. das sog. „Deuteronomistische Geschichtswerk“, das die Tradition des Exodus aus Ägypten darstellt als das identitätsstiftende Ereignis Israels. Gott hat uns schon einmal gerettet und aus einem „Sklavenhaus“ herausgeführt in ein „Land, in dem Milch und Honig fließen“. Und genau das macht er jetzt auch. Gott ist ein Gott, der für uns da ist.
Aber das mit dem inneren Aufbau funktioniert nicht so, wie es sollte. Die Machteliten bereichern sich auf Kosten der einfachen Leute, es gibt Übervorteilung und Betrug, es herrscht Korruption und Gewalt. Es herrscht Egoismus, „jeder ist nur auf seinen eigenen Gewinn bedacht“ (Jes 56, 11). Jesaja (bzw. sein Nachfolger) hat ein feines Gespür für das, was da im Volk abgeht und er hält vor allem den Reichen und Mächtigen den Spiegel vor. Er tut es am Beispiel des Fastens.
Für seine Adressaten bedeutet Fasten wohl, Gott zu besänftigen, sodass er ein mildes Urteil über sie fällt. Jes 58, 3: „Warum fasten wir und du siehst es nicht? Warum haben wir uns gedemütigt und du weißt es nicht?“ Aber diese Haltung ist grundfalsch. Es geht nicht um Besänftigung eines Gottes (was ist das auch für eine Gottesvorstellung? Als ob Gott korrupt wäre!) Es geht auch nicht darum, vor Gott sichtbar zu werden und anerkannt zu sein mit einer Art „Leistung“. Als ob das Gott beeindrucken könnte, wenn man auf einen kleinen Teil seines Reichtums verzichtet!
Tritojesaja jedoch versteht unter dem Fasten etwas viel Grundlegenderes. Ein äußeres Verhalten im Fasten geht einher mit einer veränderten Haltung gegenüber den Menschen und gegenüber den Strukturen, in denen die Menschen leben: die Fesseln des Unrechts zu lösen, jedes Joch zu zerbrechen, dem Hungrigen das Brot zu brechen, Obdachlosen eine sichere Unterkunft zu verschaffen etc. Der Prophet hat vor Augen, was wir heute wohl an den (Sozial-)Staat delegiert haben: Bürgergeld, Obdachlosenhilfe, Krankenversorgung, Pflege, unabhängige Justiz ….. Bei Tritojesaja ist das jedoch im Unterschied zum heutigen Sozialstaat eine Aufgabe für jeden Einzelnen, der seine Haltung herausfordert.
Wir denken heute nicht nur individuell, sondern auch strukturell. Sprich: wir haben heute im Blick, wie die Gegebenheiten einer Gesellschaft sich auswirken auf das Leben der Einzelnen. Dass es etwa keine Chancengleichheit gibt im Bildungssystem (es hängt in hohem Maße vom Einkommen der Eltern ab). Dass es eine strukturelle Benachteiligung von Frauen gibt. Dass auch die Pflege eine Frage des Geldes ist (und nicht der Bedürftigkeit). Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. „Fasten“ in diesem Sinne müsste also wohl auch beinhalten, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Sich zumindest zu informieren. Die Augen zu öffnen für das, was bei uns (in Deutschland, in der Welt) abgeht. Das ist/ wäre schon viel!
Und dann auch die eigene Haltung daran orientieren, ggf. verändern. Etwa in Gesprächen mit anderen einzustehen für die Benachteiligten, die nicht hochkommen können in unserem System (mit Jes 58,6: „die Unterdrückten“). Wir merken: das ist sehr viel anspruchsvoller als „nur“ auf das Rauchen, Trinken, Süßigkeiten etc. zu verzichten.
Noch ein Wort zur Motivation, das uns Tritojesaja mitgibt ab Vers 8. Er fasst es in verschiedene Bilder, vorwiegend aus dem Bereich des Lichts. Aber er sagt es auch sehr deutlich: