„Alles beginnt mit der Sehnsucht.“ So sagt es die Dichterin Nelly Sachs.
Auch meine Adventsimpulse möchte ich mit diesem Wort beginnen: „Alles beginnt mit der Sehnsucht.“
Was ersehnen Sie? Wen ersehnen Sie?
Welches Gefühl verbinden Sie mit der Sehnsucht? Was empfinden Sie, wenn Sie etwas oder jemanden ersehnen?
Wenn wir etwas ersehnen – oder auch jemanden – spüren wir deutlich das Fehlen. Das, was wir ersehnen, ist gerade nicht da. Das ist schon in der mittelhochdeutschen Sprachwurzel „senen“ sichtbar. Sie bedeutet laut Duden: „sich härmen, liebend verlangen“. Sich härmen bedeutet: ich habe eine trübe Stimmung, einen Kummer, eine innere Qual. Der/die/ das Ersehnte ist weit weg, ist im Moment nicht zur Verfügung, ist unerreichbar. Auch wenn ich das Ersehnte noch so sehr benötige: es ist nicht verfügbar, meiner Wirkmächtigkeit entzogen. Der/ die/ das Ersehnte verweist mich auf meine Bedürftigkeit, auf meinen Kummer, auf meine Not.
Diese Bedürftigkeit kann etwas sehr Konkretes sein: eine Person, etwas Materielles, die Gesundung von einer Krankheit …
Die Bedürftigkeit kann auch etwas ganz Großes sein: Frieden in der Welt, Gerechtigkeit für alle, Solidarität der Starken mit den Schwachen ….
Wenn die Sehnsucht erfüllt ist (wann auch immer), dann ist es besser als vorher. Die Sehnsucht richtet sich immer auf ein „Mehr an Leben“ – sei es, dass der geliebte Mensch da ist; sei es, dass ich wieder gesund bin; sei es, dass es Frieden gibt und Gerechtigkeit …
Wie wäre es, wenn Ihre ganz persönliche Sehnsucht – sei sie nun groß oder klein – erfüllt wäre? Wenn Ihre Sehnsucht gestillt wäre? Wie fühlte sich das an?
Vielleicht weist das Wort still“ auf dieses Gefühl hin? Vielleicht würde es dann still, ruhig, in Ihrem Herzen, in Ihrem Leben?
In der Bibel ist oft von Sehnsucht die Rede. Die Juden in Ägypten oder Babylon ersehnen Freiheit und Selbstbestimmung. Die Kranken ersehnen Gesundung. Die Ausgegrenzten ersehnen Integration. Die Sünder ersehnen Vergebung. Und wenn es ganz schlimm ist, unüberschaubar schlimm, ersehnt man das Erscheinen Gottes, ersehnt man ein prophetisches Wort Gottes, ersehnt man das Kommen des Messias. Weil man spürt, dass die aktuellen Verhältnisse mehr brauchen als menschliches Handeln vermögen. So ersehnt man damals und auch heute (vielleicht auch heute) das Auftreten eines Retters. Wenn es tragisch läuft, entdeckt man ihn in einem (auch sehr begrenzten) Menschen. Oder jemand sieht sich selber als Messias – und will doch nur Macht und Einfluss.
Der Advent ist eine Sehnsuchtszeit. Im Advent ersehnen wir Jesus, in dem wir den Messias Gottes erkennen. Was unterscheidet ihn von anderen, die sich als „gottgesandt“ gerieren? Welche Defizite unseres je eigenen und auch des gesellschaftlichen Lebens soll Jesus, soll Gott, stillen?
Wenn Sehnsucht erfüllt ist (und das feiern wir erst an Weihnachten), dann wird es von der Sehnsucht her gesehen still. Dann ist „staade Zeit“. Das ist das Weihnachtsgeschenk Gottes an uns Menschen.
Und gleichzeitig beginnt die Zeit, an dem wir daran mitwirken können und sollen, die Sehnsucht der Menschen, auch die eigene, zu stillen (soweit es in unserer Wirkmächtigkeit liegt).




