Nikolaus
Bei uns kam früher als Kind immer der Nikolaus. Ich habe ihn als großen Mann in Erinnerung. Mit weißem Vollbart und mit Mitra. Natürlich hatte er auch einen Bischofsstab und einen Sack dabei. Und sein goldenes Buch. Gesungen wurde bei uns wenig.
Schon Tage vorher haben wir mit unserer Mutter das Gedicht: „Von drauß´ vom Walde komm ich her“ geübt. Das mussten wir Kinder dann beim Nikolaus aufsagen. „Nun sprecht, wie ichs herinnen find! Sind´s gute Kind? Sind´s böse Kind?“ Das war die Überleitung zum ernsten Teil des Abends.
Der Nikolaus hat dann nämlich sein goldenes Buch aufgeschlagen. Da waren dann all unsere Missetaten verzeichnet. Auch solche, die wir schon lange vergessen hatten. Und wir standen vor dem großen Nikolaus und fühlten uns immer kleiner. Am liebsten wären wir verschwunden. Das war für mich so schlimm, dass ich mich in den kommenden Jahren immer versteckt habe: auf dem Klo, im Schrank, unter dem Bett …. Es hat nichts genutzt.
Nachdem die Strafpredigt zu Ende war, hat der Nikolaus dann aus seinem großen Sack für jeden von uns Buben ein kleines Sackerl herausgeholt. Da war eine Orange drin, ein paar Platzerl, ein paar Nüsse. Mehr war nicht drin in diesen eher armen Zeiten. Aber für uns war das groß: weil es einen Kontrapunkt gesetzt hat zum goldenen Buch.
Dann haben wir den Nikolaus verabschiedet. Froh, dass es vorbei war.
Später – als Familienvater und Pastoralreferent – habe ich es anders gemacht. Ich habe Wert gelegt auf den „historischen“ Nikolaus. Wir haben Geschichten aus seinem Leben erzählt: das Schiffswunder und die goldenen Kugeln. Das hat unsere Kinder fasziniert. Das goldene Buch hatte ausgedient und war einem Kinderbuch mit Bildern gewichen. Wir wollten damit nicht einen Gott erlebbar machen, der alles sieht und sich merkt und dann auch bestraft, sondern einen, der durch den Nikolaus (und andere) seien Güte und Menschenfreundlichkeit sichtbar macht.
Beim letzten Mal, als der Nikolaus bei uns daheim war, wollten unsere Söhne dann doch wenigstens einmal den Kramperl erleben (der sonst immer draußen warten musste). Dieses böse, gezähmte, mit den Ketten rasselnde Ungeheuer hatte eine gewisse Faszination für unsere Pubertiere. Aber sie waren doch froh, dass er dann wieder gegangen war.
Der Nikolaus meiner Kinderzeit war ein Spiegelbild meiner Vorstellung von Gott, wie ihn mir meine Eltern vermittelt hatten: einer, der alles sieht, der sich alles merkt, der alles bestraft. Auch die kleinste Kleinigkeit – und wenn sie noch so lange zurück lag.
Der Nikolaus, den ich als Vater vermitteln wollte, war auch ein Spiegelbild meines Gottesbildes. Diesmal als Erwachsener. Ein Gott, der milde ist, der barmherzig ist, der gütig ist. Der Not sieht und Abhilfe schafft.
Und wie ist/ war das bei Ihnen? Welchen Nikolaus, welchen Gott haben Sie erlebt? Hat sich diese Gottesvorstellung auch verändert?
Vielleicht ist der Nikolaus auch Mal ein Thema für ein Erzählen und einen kleinen Austausch im Seniorenkreis?