1. Impuls zur Fastenzeit 2019

Gewalt

In den letzten Wochen haben kirchlich Engagierte mit großem Interesse verfolgt, wie im Vatikan über den Missbrauch von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern durch Priester und Bischöfe diskutiert wurde. Wir erfahren tagtäglich von Gewalttaten in unserem Land und überall auf der Welt. Wir erfahren sicher nur einen verschwindend kleinen Bruchteil dessen, was tatsächlich geschieht. „Gewalt hat viele Gesichter“ – so hat es mir mal eine Frau in einem sehr bewegenden Gespräch erzählt. Sie hatte als Kind unter Beschimpfungen, Schlägen, Essensentzug durch ihre Eltern gelitten. Immer dann, wenn etwas unter dem Einsatz von Machtmitteln gegen den Willen oder gegen das Wohl eines anderen Menschen geschieht, spricht die Weltgesundheitsorganisation WHO von Gewalt. Man unterscheidet zwischen körperlicher Gewalt, seelischer Gewalt und struktureller Gewalt (gerade davon haben wir in den letzten Wochen viel und doch zu wenig gehört)

Bei einer Gewalttat sind gleich mehrere Werte berührt: die Unversehrtheit des Menschen, das Selbstbestimmungsrecht des Menschen, das Sicherheitsbedürfnis, das Vertrauen (vor allem, wenn die Gewalt durch nahestehende Menschen geschieht), die Lebensfreude und eine grundsätzlich positive Sicht auf das Leben und die Menschen…

Was hilft den Opfern von Gewalt? In der Situation braucht es jemanden, der einschreitet und die Gewalt unterbindet – etwa die Watschn eines Vaters gegen das Kind. Dann aber auch jemanden, der die Gewalt bezeugt. Carolin Emcke hat ein sehr lesenswertes Buch dazu geschrieben: „Weil es sagbar ist.“ Sie beschreibt darin, wie wichtig es für Opfer ist, dass jemand die Erinnerung an die Gewalt bewahrt und dafür einsteht, um dem Opfer zu glauben. Auch Doris Wagner hat das in ihrem bemerkenswerten Gespräch mit Kardinal Schönborn betont, wie wichtig es ist, dass ihr geglaubt wird und dass jemand dafür Zeugnis ablegt.

Das griechische Wort „Martyria“ bedeutet: „Zeugnis ablegen“. Martyria = „Zeugnis ablegen“ ist eine der wichtigsten kirchlichen Vollzüge (neben der Koinonia (= Gemeinschaft), der Diakonie und der Liturgie). Unter diesem Aspekt können wir (ob als Kirche oder als Einzelne) noch viel mehr tun als bisher. Zeugnis ablegen heißt zunächst ja: Augen und Ohren offen haben für das, was geschieht. Und dann auch den Mund aufzumachen an der Seite derer, die Gewalt erlitten haben. Das wäre der eigentliche Ort von christlicher Kirche.

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