Es war einmal ein Wolf, der lebte in der Gegend von Bethlehem. Die Hirten wussten um seine Gefährlichkeit und waren jeden Abend damit beschäftigt, ihre Schafe vor ihm in Sicherheit zu bringen, denn er war hungrig und listig.
Es war in der heiligen Nacht. Soeben war der Gesang der Engel verklungen, der den Hirten die Geburt des Kindes verkündet hatte. Der Wolf wunderte sich sehr, dass alle Hirten weggingen, um dieses Kind anzuschauen. „Wegen eines Kindes so ein Getue“, sagte sich der Wolf. Aber – neugierig und hungrig, wie er war – schlich er ihnen nach. Beim Stall versteckte er sich und wartete. Als sich die Hirten wieder von Maria und Josef verabschiedet hatten, hielt der Wolf seine Zeit für gekommen. Er wartete noch, bis Josef und Maria eingeschlafen waren, denn sie waren sehr erschöpft von der Reise und der Geburt.
Auf leisen Sohlen schlich er in den Stall. Niemand bemerkte sein Kommen. Allein das Kind. Es schaute zum Wolf, der sich, Tatze vor Tatze setzend, lautlos der Krippe näherte. Er hatte den Rachen weit geöffnet und die Zunge hing ihm heraus. Er war schrecklich anzusehen. Nun stand er dicht neben der Krippe. „Ein leichtes Fressen“, dachte er.
Da aber berührte ihn behutsam und liebevoll die Hand des Kindes. Das erste Mal in seinem Leben streichelte jemand sein hässliches, struppiges Fell, und mit einer Stimme, wie der Wolf sie noch nie gehört hatte, sagte das Kind: „Wolf, ich liebe Dich!“
Da geschah etwas Unvorstellbares: im dunklen Stall von Bethehem platzte die Haut des Wolfes auf und heraus stieg ein Mensch. Ein wirklicher Mensch. Der Mensch sank in die Knie, küsste die Hand des Kindes und verließ dann den Stall – lautlos, wie er zuvor gekommen war.
Aber er gnig in die Welt, um allen zu künden: „Dieses Kind kann dich durch seine Berührung erlösen!“