Gebrechlichkeit
„Gebrechlichkeit“ ist ein altes, aus der Mode gekommenes Wort. Es ist keines der Worte, die man gerne verwendet – schon gar nicht für sich selbst. Es ist gleichwohl eine Erscheinung, die viele, vor allem ältere, Menschen trifft. Es beschreibt das allmähliche Nachlassen der Kräfte, den fortschreitenden Abbau körperlicher Fähigkeiten, das Zunehmen von Beschwerden und Krankheiten. Also klassisch defizitorientiert. Und völlig inkompatibel mit unserem Lifestyle. Deshalb ist Gebrechlichkeit auch schambesetzt und wird weitgehend tabuisiert. Wie schwer tut man sich also, die eigene Gebrechlichkeit anzunehmen oder gar zu zeigen. Das fängt bei Kleinigkeiten an: dem Hörgerät. Schlimmer ist, wenn man auf einen Hacklstecken oder Rollator angewiesen ist. Schlimmer unter zweierlei Hinsicht: einmal, weil man diese Not hat und zum zweiten, weil man sie öffentlich dokumentieren muss (wenn man sich nicht gänzlich zurückzieht in die Einsamkeit).
Ich will und kann nichts beschönigen. Das Nachlassen der Kräfte und die Zunahme der Hilfsbedürftigkeit sind schlimm und ein massiver Einschnitt ins bisherige selbstbestimmte Leben. Aber wir können wenigstens gesellschaftlich und kirchlich gesehen die zweite Stigmatisierung erleichtern, nämlich dass man sich schämen muss, wenn man nicht mehr so kann. Ich habe mich immer sehr gefreut, wenn ich in meiner früheren Gemeinde erst einen, dann zwei, schließlich drei Rollatoren vor der Kirche gesehen habe. Sie waren ein Zeichen, dass die Besitzer zu uns als Gemeinde dazugehören. Oder wenn Menschen mit einer Einschränkung ehrenamtlich oder auch hauptamtlich tätig sind und ihre Behinderung nicht verstecken. Es braucht solche Zeichen, weil sie eine Ermutigung darstellen für die Menschen mit ähnlichem Schicksal. Wir brauchen diese Zeichen auch für die „Gesunden und Fitten“, denen es vielleicht mal ähnlich gehen wird. Wir brauchen diese Zeichen als Gemeinde, weil dadurch sichtbar wird, dass Leben lebbar ist auch wenn es ein gebrochenes, mit Einschränkungen behaftetes Leben ist.