Ich verfolge grade mit Interesse die aktuelle Diskussion über Sterbehilfe im Gegensatz zur Sterbebegleitung. Vor allem Franz Müntefering macht sich stark für die Begleitung Schwerstkranker durch Palliativmedizin und Hospizbegleiter. Dies scheint mir auch der bessere Weg zu sein statt einer vermeintlichen Selbstbestimmung auch über das Sterben das Wort zu reden.
Es ist sehr nachvollziehbar, dass Menschen Angst vor dem Tod haben und dass die Unsicherheit groß ist, wie das geht und was danach kommt. Ich verstehe auch das Bedürfnis der Menschen nach Kontrolle, besonders in Situationen, die sich der Kontrolle entziehen, wie es der Tod nun einmal ist. Ich verstehe, dass Selbstbestimmung ein hoher Wert ist, den wir immer in unserem Leben verwirklichen wollen – und warum nicht auch im Sterben? Ich verstehe, dass Menschen Schmerzen vermeiden wollen und Leiden verringern.
Aber die moderne Palliativmedizin kann Schmerzen auf ein erträgliches Maß reduzieren und Angstzustände verringern. Hilfreich sind dabei die Medikamente. Noch hilfreicher scheint es mir zu sein (aber nicht als Alternative, sondern als Ergänzung), wenn sterbende Menschen begleitet werden, wenn sie zuverlässige und vertraute Menschen an ihrer Seite haben. Diesen Dienst zu leisten, ist freilich hoch anspruchsvoll, er kostet Kraft, er kostet Überwindung, er kostet Zeit, er kostet Emotionen. Er lässt sich oft nicht in Geld berechnen, er liegt sozusagen quer zum marktwirtschaftlichen Denken des „normalen“ Alltags. Ich meine, dieser Dienst weist unsere Gesellschaft als eine humane, menschliche Gesellschaft aus.
Es ist für mich nicht eine Frage, ob wir uns Sterbebegleitung leisten können, sondern ob wir uns das leisten wollen – und zwar weniger finanziell, sondern eher ethisch. Was passiert denn mit unserer Gesellschaft, mit unserem Verständnis vom Menschen, wenn wir die Haltung zum Tod verändern? Wenn der Tod das unwillkommene, verpönte, beschämte, versteckte und beängstigende Ende ist statt der Lebensvollendung, in der die Angst mitgetragen wird, die Schmerzen miteinander ausgehalten werden, auch die Hoffnung geteilt wird?
Vielleicht klingt das ein wenig idealistisch und sicher ist es hoch anspruchsvoll, besonders in unserer sich wandelnden, auf Mobilität und Verfügbarkeit setzenden Welt. Ich denke aber, auch die Sterbenden und Schwerkranken haben für unsere Gesellschaft eine Bedeutung, weil sie den radikalen Gegenentwurf zur Leistungsgesellschaft bieten. Weil sie uns deutlich machen, dass nicht Vermögen und Geld, sondern Beziehung und Bindung wichtig sind, weil die uns im Leben und auch im Tod tragen können und so alles erträglich machen können.