Im letzten Jahr ist das Gefühl der Trauer in mehrfacher Hinsicht in den Blickpunkt gerückt. Zum einen bewertet das Diagnosemanual ICD-11 Trauer, vor allem die chronische Trauer, als Krankheit. Zum zweiten gibt es in den letzten Wochen immer wieder sog. „Trauermärsche“, die meines Erachtens diesen Namen überhaupt nicht verdienen. Gerade im zweiten Fall wird hier ein Gefühl missbraucht als Fahne für Botschaften, die mit echter Trauer überhaupt nichts zu tun haben. Die Verwendung des Wortes „Trauer“ entzieht die Veranstaltung auch (zunächst einmal) jeder Kritik, denn Trauer ist ja ein wichtiges und not-wendiges Gefühl. Aber im Zusammenhang mit den „Trauermärschen“ geht es nicht um Trauer, sondern um ein politisches Statement, um die Anstachelung zur Wut und zur Bereitschaft zu und der Bemäntelung von Gewalt. Und hier ist deutliche Kritik mehr als angebracht!
Trauer im echten Sinn des Wortes hat immer mit einem Verlust zu tun. Wer um einen verlorenen Menschen trauert (bei Tod oder Trenunng), hatte eine Beziehung zu ihm – und je enger die Beziehung war, desto tiefer wird die Trauer sein. Trauer zeigt sich auf verschiedene Weise: still, in sich gekehrt oder auch mit Tränen oder im Schrei der Verzweiflung und der Isolation. Niemals jedoch im Schreien von politischen Botschaften. Wer so auf der Straße im öffentlichen Raum seine „Trauer“ zeigt, hat vermutlich keine persönliche Beziehung zu dem Menschen, um den „getrauert“ wird. Ich vermute sogar, dass es keine oder kaum eine Betroffenheit gibt.
Echte Trauer ist auch nichts, was in ein paar Stunden vorbei ist. Manchmal dauert Trauer Tage, Wochen, Monate oder Jahre. Jeder Mensch hat da seinen ganz individuellen Weg, die Trauer zu verarbeiten. Sicher kann Trauer manchmal auch stecken bleiben, vor allem, wenn es keine Möglichkeit gibt, die Trauer auszudrücken (etwa weil ein passender Gesprächspartner fehlt). Ich würde das jedoch nicht als Krankheit bezeichnen, der medizinisch beizukommen wäre. Es ist ein sehr menschlicher Prozess, der hilft, mit schweren Situationen fertig zu werden, Trauer ist eine Bewältigungsstrategie, zur Trauer sollte man ermutigen.
In meinen verschiedenen beruflich bedingten Gruppen und Einzelgesprächen geht es häufig darum, einer Trauer Raum zu geben – zuzuhören – präsent zu sein – auszuhalten. Nicht die schnelle Lösung ist das Ziel, sondern die manchmal wirklich lange dauernde Begleitung auf dem Weg ins Leben allein und ohne den geliebten und gewohnten Menschen. Manchmal helfen Rituale, helfen Gebete, hilft ein Segen. Hier haben wir Seelsorger ja einiges im „Handwerkskasten“. Ich selber wende das dann an, wenn es vom Trauernden her passt. Hilfreich ist es oft, die Trauer und den Verlust im Licht des Glaubens anzuschauen, oft hilft dabei die Hoffnung auf ein Wiedersehen bei Gott (wie immer man sich das dann vorstellen mag).
Trauer ist also hilfreich und notwendig und darf nicht – in welche Richtung auch immer – funktionalisiert werden.