Gedanken zum 1. Advent 2020

Der Advent ist die Zeit der Erwartung. Im Gottesdienst und in den Liedern der Adventszeit spielt der Prophet Jesaja eine herausragende Rolle. Deshalb werde ich meine Impulse in diesem Jahr mit diesem Propheten gestalten.

„O Heiland, reiß den Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf!“

Immer wieder taucht dieses Motiv in den Adventsliedern auf: dass der Himmel verschlossen ist und dass Gott den Himmel aufreißen solle und die Tore öffnen. In diesem Lied, 1622 von Friedrich Spee geschrieben, spiegelt sich die Erfahrung des Dreißigjährigen Krieges wieder: Gewalttaten, Unsicherheit, Ängste, das Gefühl von Ausgeliefertsein. Auch im religiösen Bereich stellt sich die Frage: „Was soll ich glauben? Wem soll ich glauben?“

Das Motiv des verschlossenen  Himmels taucht auch schon beim Propheten Jesaja auf (Jes 63, 19b). Die Erfahrung von Trockenheit, wenn es lange nicht regnet (der Himmel verschlossen ist), wird angewandt auf das Volk Israel. Es war aus dem Exil heimgekehrt und hatte sich daran gemacht, die Stadt und die Gesellschaft wieder aufzubauen. Aber schon bald gab es wieder die alten Verhaltensweisen: Ungerechtigkeit, Übervorteilung, Geringschätzung, Hartherzigkeit. Die „Gerechtigkeit Gottes“ ist nicht mehr zu spüren.  

Darunter leidet ein Prophet, den wir namentlich nicht kennen, der aber in der Tradition des ersten und des zweiten Jesaja steht und deshalb „dritter Jesaja – griechisch: Tritojesja – genannt wird. Leidenschaftlich tritt er für eine gerechtere Gesellschaftsordnung ein und mahnt zur Umkehr, zu sehr konkret benannten Verhaltensänderungen.

Heute singen wir dieses Lied. Den Leidensaspekt des Tritojesaja oder des Friedrich Spee haben wir nicht im Ohr und im Herz. Auch wenn wir mit Blick auf diese Welt allen Grund dazu hätten. So fehlt uns beim Singen vielleicht auch die nötige Leiden-schaft; die Gefahr, es als „idyllisches Lied“ zu sehen, ist groß.

Meine Anregung also: erst einmal sich bewusst machen, woran unsere heutige Welt krankt – und damit meine ich nicht nur „Corona“.

Dann Jesaja 63, 11-19 lesen oder vielleicht auch Jes 58 und erst dann das Lied singen.

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