Heiligabend 2023

Der Blick heute Abend ins Kripperl mit dem Christkindl drin ist heimelig. Nett. Erbaulich. Vor allem im Wohnzimmer und in den Kirchen. Allerdings ist es ein Blick, der verdrängt.

Foto: Michael Tress

Der verdrängt die Notlage damals, die Notlage der jungen Familie; die Notlage einer Ortschaft, die mit der Anzahl der Zugereisten überfordert war; die Notlage des besetzten, unter römischer Fremdherrschaft stehenden Landes. Und es verdrängt den Blick auf die Orte, an denen Menschen heute zur Welt kommen: in den Kriegsgebieten (auch, aber nicht nur in Israel und Gaza und der Ukraine); auf den Fluchtrouten dieser Welt (auch den Binnenfluchtrouten nicht nur Afghanistans und Syriens); in den Elendsvierteln rund um die Welt; in den Problemvierteln bei uns; in den prekären Situationen auch bei uns, etwa bei Alleinerziehenden. Die Liste ließe sich fortsetzen, aber dazu brauchen wir Wissen und Phantasie, denn es wird immer bestenfalls am Rande darüber berichtet in den Nachrichten. Meistens gar nicht. An Weihnachten schon zweimal nicht. Dabei lohnte es sich, genauer hinzuschauen in dieses Kripperl an diesem so außergewöhnlich erscheinendem Ort mit diesem so besonders erwähnenswertem Kind. Der Stall und die Krippe: ein Außenseiterort, am Rand oder vielleicht auch weiter weg von der Stadt. Die Stadt: ein kleines Kaff mit großer Geschichte, Königsgeschichte. Das Kind: eines, in dem die Menschen Jahre später jemand Großes entdecken werden, etwas Göttliches. Etwas von Gottes Art. „Erschienen ist die Güte und die Menschenfreundlichkeit unseres Gottes“ – so hat es etwa 100 Jahre später ein uns unbekannter Verfasser im Titusbrief geschrieben. Wir hören das in der Lesung am Weihnachtsmorgen. Klein, unbedeutend, am Rand. So fängt es an. Und nicht zu schnell sollten wir auf das Ende schauen, auf vermeintliche Größe (dazu morgen mehr). Schauen wir auf das Kleine – den Kleinen. Sehen in ihm all die anderen Kleinen, die „gern“ und vor allem leicht übersehenen anderen, heutigen Kleinen: Obdachlose, Sozialhilfeempfänger, Abgestempelte, „Sozialschmarotzer“, Faulpelze, Einsame, Kranke, Pflegebedürftige und Pflegende, Verzweifelte (auch die, die an dem Nichtstun anderer verzweifeln, etwa in Klimafragen). Die Liste lässt sich mit Wissen und Phantasie fortsetzen. Heute Abend und an jedem folgenden Tag.

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