Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht … (Jes 9,1ff)
Das ist die Lesung in der Christmette der heiligen Nacht. Zu diesem Zeitpunkt hätten das alle, die in der Kirche sind, erlebt: sie wären im Dunkeln gegangen und sähen jetzt das Licht in der Kirche. Ob dieses Erleben möglich ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt zumindest unklar, für mich schaut es eher so aus, als ob die Christmette entweder sehr viel früher oder überhaupt nicht stattfindet.
Auch jahreszeitlich haben wir jetzt die tiefste Finsternis hinter uns, es wird wieder langsam heller.
Das Volk Israel hat seine finsterste Zeit noch vor sich zu dem Zeitpunkt, als Jesaja das ziemlich am Anfang seiner Tätigkeit als Prophet verkündet. Der Untergang des Südreiches Juda steht noch bevor, das Nordreich Israel war schon untergegangen und im Exil in Babylon. Dennoch spricht Jesaja inmitten von Unheilsverkündigungen schon so, als ob alles schon vorbei wäre. Es ist eine Ermutigung, die kommende Katastrophe mit dem Verlust von Land, gesellschaftlicher Struktur und Identität leichter zu ertragen. Dieses prophetische Wort wird von da an immer wieder zitiert und neu formuliert werden bis auf den heutigen Tag.
Heutige Finsternisse? Natürlich denken alle jetzt in erster Linie an Corona. Es gibt aber unterhalb des aktuellen öffentlichen Radars auch noch: Armut, Ungerechtigkeit, Klimakatastrophe, Nationalismen, Anfeindungen bestimmter Personengruppen, Bildungsungleichheit… Die Liste lässt sich fortsetzen. Da sitzen wir immer noch im Finstern.
Vielleicht ist das auch der Unterschied: die Israeliten sind gegangen, wir sitzen. Allerdings sind die Israeliten nicht freiwillig gegangen, sondern gezwungenermaßen. Weil sie die rechtzeitigen Aufbrüche verpasst hatten.
Zeitige Bewegung, rechtzeitige Veränderung wäre nötig. Und wenn es „bloß“ das ist, die Finsternisse zu benennen. Wenn es „bloß“ das ist, die Finsternisse nicht unkommentiert zu lassen. Nicht mal nur im „Großen“ der Welt, sondern auch im „Kleinen“ des eigenen Lebensbereiches.
Was wäre dann das Licht? Die Erfahrung von Solidarität, von Verbundenheit und von erweitertem Sichtfeld. Und dann ein gemeinsames Handeln. Ich z. B. verdanke meine Ausbildung, meinen Beruf der Bildungsoffensive der 60-er Jahre. Früher hätte ich sicher kein Gymnasium besuchen können. Genauso die Mädchen damals (mein Gymnasium hat sich erst zwei Jahre vor meinem Jahrgang für Mädchen geöffnet). Das war also ein Lichtblick, hervorgerufen durch Menschen, die diese Ungleichheit bemerkt und verändert haben!
Welche Lichtblicke könnten Sie bewirken, jetzt, heute, in den nächsten Tagen? Wie sieht Solidarität aus mit denen, die unmittelbar und mittelbar (als Angehörige, als Pflegende, als Sorgende) von Covid-19 betroffen sind? Wie könnte Umweltschutz konkret an Weihnachten im häuslichen Bereich aussehen? Wie könnte ein „Lichtblick“ aussehen für Alleinlebende in der Umgebung? …