Neulich habe ich einen entfernten alten Bekannten wieder mal getroffen. Er erzählte, dass er kaum mehr rausgehe, auch nicht zum Stammtisch mit anderen. Warum er denn nirgends mehr hingehe, habe ich ihn gefragt. Er meinte, mit seiner Gebrechlichkeit habe er keinen Platz mehr, er wolle nicht den „Gesunden“ zur Last fallen.
Merkwürdig – und zum Nachdenken anregend. Er schämt sich offensichtlich für etwas völlig Normales, für seine körperlichen Einschränkungen, die mit dem Alter halt kommen und die auch die anderen in seinem Freundes- und Bekanntenkreis erleben. Er zieht sich zurück in seine eigenen vier Wände. Vereinsamt.
Ähnliches habe ich in meiner Arbeitsphase immer wieder mal erlebt. Am Sonntag in der Kirche, bei den Seniorenclubs, im Globus bei den Stammtischen. Mir als meist Außenstehendem fällt das vielleicht gar nicht sofort auf. Den Freunden wohl schon.
Bei einem Gottesdienst hat mal ein Demenzkranker laut dazwischengeredet. Manche hat er damit gestört. Obwohl er die allermeisten nicht gestört hat, ist er daraufhin nicht mehr gekommen. Auch nicht seine Frau. Schade!
Mir sind bei einem Gottesdienst in Polling mal drei Gehwagerl vor der Kirche aufgefallen. „Ui, die Gehbehinderten kommen wieder, kommen doch – Gott sei Dank!“ Aber dieser Gedanke kam mir erst beim Anblick der drei Gehwagerl! Da haben mir die „Gebrechlichen“ die Augen geöffnet, vorher sind mir diese Menschen nämlich gar nicht abgegangen. Oje!
Eine sehbehinderte Frau ist regelmäßig mit Hilfe ihrer Nachbarin zu unseren Verwitwetentreffen gekommen. Wunderbar!
Diese Frau hatte wohl keine Scheu, sich zu zeigen. Sie hatte wohl auch eine freundliche, verständnisvolle Nachbarin. Ein guter Kontakt ist Gold wert. Die Ermutigung ist wichtig – und auch, das Gefühl zu vermitteln: „Du gehörst zu uns dazu!“
Gibt es überhaupt etwas, wo jemand vielleicht nicht dazugehört beim Kirchgang, im Seniorenkreis, bei offenen Treffen? Bestimmt gibt es das. Etwa, wenn die Beschwernis zu groß ist (weil etwa kein behindertergerechter Zugang in die Kirche, das Pfarrheim möglich ist – aber da wird er/sie ausgeschlossen).
Aber für einen schweren Gang, schlechte Augen, langsameres Denken muss man sich nicht schämen, muss man sich nicht selbst ausschließen. Die drei Gehwagerl hatten für mich (und wohl nicht nur für mich) Signalwirkung: die gehören zu uns dazu. Wir sind nicht nur eine Kirche der Fitten und Gesunden und Starken, sondern eben auch der Schwachen, Gebrechlichen, Dementen, Eingeschränkten. Und: wir können uns gegenseitig Mut machen, bestärken, unterstützen. Gerade weil es den Aufmerksamen auffällt, das jemand fehlt. Und sie mit Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft und Empathie auf die Menschen reagieren.
So will ich ausdrücklich alle Menschen ermutigen:
Die „Gesunden“: achten Sie aufeinander! Sprechen Sie mit dem, der abgeht! Laden Sie ihn freundlich ein! Zeigen Sie ihm das Dazugehören, die Verbundenheit!
Und denen, die sich zurückziehen, möchte ich sagen: Ihre Präsenz, Ihre Anwesenheit ist wichtig, weil Sie nicht nur aus Ihrer Einschränkung bestehen. Ihre Fähigkeiten, Ihre Lebenserfahrung, auch Ihr Ertragen und Ihr Aufbegehren gegen die Einschränkung ist eine starke Erfahrung für alle anderen. Es wäre jammerschade, wenn Sie den anderen das vorenthalten würden.