Vorfreude
Jetzt sind wir ein paar Tage vor Weihnachten. Bei den Kindern und manchmal auch bei Erwachsenen und Senioren macht sich das Gefühl der Vorfreude breit. Gestern hatte ich ein ganz kurzes Gespräch mit einer älteren Frau, die ein Weihnachtsgeschenk gekauft hatte. Sie sagte, dass es zwar jetzt viel Stress gäbe, sie dennoch ein Gefühl der Vorfreude auf Weihnachten empfinde. Weil da ihre Familie kommt. Als Kind jedoch sei dieses Gefühl sehr viel stärker gewesen. Das hat mich berührt, dass Vorfreude auch noch nach so vielen Jahrzehnten spürbar sein kann – als nachempfundene Vorfreude.
Die Vorfreude bezieht sich – anders als die Freude – auf etwas, was noch nicht da ist. Was noch in der Zukunft liegt. Von dem man weiß, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreten wird.
Andererseits ist es auch etwas, das man schon wenigstens im Ungefähren kennt und erkennt. Auf etwas völlig Unbekanntes kann man sich nicht vorfreuen.
Die Vorfreude hat schon eine gewisse Vorerfahrung. Und zwar eine schöne, angenehme, eben mit Freude verbundene. Ohne diese Vorerfahrung gibt es keine Vorfreude. Wenn ich mich etwa auf das Wiedersehen mit einer Freundin oder einem Freund vorfreue, dann habe ich mit ihr/ ihm schon gute Erfahrungen, etwa von Nähe und Herzlichkeit, gemacht.
Andererseits zeigt gerade dieses Beispiel auch, dass der Vorfreude ein Mangel zugrunde liegt, die Erfahrung von einem: „das gibt es gerade nicht in meinem Leben“. Auf Menschen, die ständig bei mir sind, kann ich mich nicht vorfreuen.
Vorfreude hat im Blick, was an Schönem auf mich zukommt. Es überspringt sozusagen alles Schwere und Schwierige, was noch dazwischen ist. Die Vorfreude holt das zukünftige Schöne schon in das Hier und Jetzt. Ich lebe quasi schon jetzt im Schönen und Ersehnten.
Die Vorfreude vereint also Gegensätze:
- es war einmal und ist gerade nicht.
- Es ist gerade nicht und wird kommen
- Es ist vergangen und es ist zukünftig
- Es zeigt eine Fülle auf und einen Mangel.
- Es überspringt die Zeitgrenze, holt die ersehnte Zukunft in die Gegenwart.
Wie ist das jetzt mit der Vorfreude auf Weihnachten? Viele – gerade Erwachsene – erleben diese Vorfreude nur getrübt durch viele Besorgungen (Geschenke, Nahrungsmittel), getrübt durch Verantwortlichkeiten und Organisation (wer kommt wann? Wer nicht? Zu wem gehe ich?), getrübt durch Befürchtungen (Vertragen sich alle? Wird es eine von der Tradition her gezwungene Atmosphäre sein ohne echtes Bedürfnis nach Kontakt?). Da ist die Gefahr groß, dass die Vorfreude schwindet oder gar ganz verschwindet. Dass das Staunenswerte und Wunderbare aus dem Blick geraten. Dass das Zentrum dieses Festes an den Rand rückt.
- Die weihnachtliche Vorfreude lebt davon, dass dieses Fest für uns als Kinder etwas Besonders war. Ich erinnere mich an mein Kinderstaunen über den Lichterbaum, wenn am Heiligen Abend die Türe zu unserem Wohnzimmer aufging. Ähnlich ist es dann auch unseren Kindern und Enkeln ergangen. (Später war es dann die Vorfreude auf die Geschenke.)
- Diese weihnachtliche Vorfreude lebt davon, dass nicht das ganze Jahr Weihnachten ist. Wie mühevoll das wäre, zeigt eine Kurzgeschichte von Heinrich Böll: „Nicht nur zur Weihnachtszeit“. Da will eine alte Dame in ihrer Demenz jeden Tag Weihnachten feiern und bringt damit ihre Verwandtschaft an die Grenzen des Machbaren.
- Die weihnachtliche Vorfreude lebt aus dem Mangel: an Beziehungen, an Frieden, an Heil und im Schein des Lichtes auch einem Mangel an Heiligkeit.
- Die weihnachtliche Vorfreude lebt aus der Erwartung des künftigen Kommens von Heil, dem Kommen Gottes in unsere Welt. Eines Kommens, das dann bleiben wird und die Vorfreude in eine dauerhafte Freude verwandelt.
So wünsche ich allen den staunenden Blick auf das zukünftige, ersehnte Heilige und Heile.