Schweigen
Eine sehr besondere Art des Betens ist das Schweigen. Die Stille.
Was passiert, wenn ich still werde, schweige? Bei mir tauchen dann erst einmal eine ganze Menge Gedanken auf. Was muss ich tun? Was steht an? Was habe ich erlebt? Es tauchen Menschen auf vor meinem inneren Auge, in meiner Erinnerung. Manchmal mit Freude, manchmal mit Sorge. Nachrichten, die mich beschäftigen. Wenn ich still werde, ist es fast nie ganz still – schon gar nicht in meinem Inneren.
Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf das Gehör lenke, nehme ich den Verkehr wahr, die Vögel, Arbeitsgeräusche, den Krankenwagen …
Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf meinen Atem richte, höre ich das Ausatmen und das Einatmen. Mir fällt der Satz von Wilhelm Bruners ein: „Das Wort Gottes ist ein Atemholen.“ Mir fällt der Prophet Elija ein, der vor der Höhle Gott begegnet – nicht im Sturm, nicht im Feuer, nicht im Erdbeben, sondern in der „zarten, leise verstummenden Stimme“ des säuselnden Windes. Das ist die eigentliche Bedeutung des hebräischen Wortes „qol dmamah deqah“. Gottes Antwort im Wort, das in die Stille verschwebt.
Das war eines meiner eindrücklichsten Erlebnisse auf meiner Chilereise: hoch über einer Schlucht die völlige Stille. Kein menschlicher oder tierischer Laut, kein Wind, kein Verkehr. Nur Stille.
Gott schweigt (wenigstens scheinbar) – und ich darf das auch. Ich muss nicht immer reden. Es genügt, schweigend vor Gott zu sein. Einfach mich in das Atemholen Gottes einzuklinken. Luft holen, Kraft schöpfen, nur da sein vor Gott.
Der Dichter Roberto Juarroz (Vertikale Poesie) schreibt :
Die Abwesenheit Gottes bestärkt mich,
ich kann seine Abwesenheit besser anrufen als seine Anwesenheit.
Die Stille Gottes lässt mich sprechen.
Ohne seine Stummheit hätte ich überhaupt nicht sprechen gelernt.
Stattdessen stelle ich jedes Wort in eine kleine Pause der Stille Gottes,
auf ein Fragment seiner Abwesenheit.
Mein Impuls für die kommende Woche: für eine Minute schweigen und darauf achten, was im Inneren passiert.